Testosteron-Therapie: Strafbares Doping oder Quality Aging als individuelle Gesundheitsleistung?

Ein rechtlich-medizinischer Leitfaden für Ärzte und Patienten – nicht nur, aber insbesondere für Sportler
Von Rechtsanwalt Dr. Maik Bunzel, Fachanwalt für Strafrecht, promoviert im Medizinrecht, Betreiber von www.doping-anwalt.de

1. Rechtlicher Ausgangspunkt: Doping oder Heilkunde?

Die Gabe von Testosteron – insbesondere in supraphysiologischer Dosierung – steht juristisch im Spannungsfeld zwischen legaler Heilbehandlung und strafbarem Doping. Der zentrale Unterschied liegt im Zweck der Anwendung. Strafbar ist der Besitz oder die Verschreibung nur, wenn ein „Zweck des Dopings beim Menschen im Sport“ vorliegt (§ 2 Abs. 3 und § 2 Abs. 1 Nr. 4 AntiDopG).

Das Arzneimittelrecht legt quantitative Schwellenwerte für den Besitz von Dopingmitteln fest: Bei intramuskulärer oder subkutaner Gabe gilt Testosteron ab einer Menge von über 632 mg als „nicht geringe Menge“ im Sinne der Dopingmittel-Mengenverordnung (DmMV). Bei transdermaler oder oraler Applikation liegt die Grenze bei 1.500 mg. Diese Schwellen werden bei modernen Quality-Aging-Programmen, die mit bis zu 600 mg Testosteron-Enantat pro Woche arbeiten, regelmäßig überschritten. Dennoch ist dies rechtlich zulässig, solange keine Dopingabsicht nachgewiesen werden kann.

2. Medizinische Intention statt Dopingzweck

Im hier betrachteten Anwendungskontext steht nicht die sportliche Leistungssteigerung im Vordergrund, sondern ein individualmedizinisches Konzept zur Verbesserung der Lebensqualität bei sinkendem Testosteronspiegel im Zuge des natürlichen Alterungsprozesses, der bei den meisten Männern ab Mitte des 30. Lebensjahres einsetzt – sogenanntes Quality Aging. Die Testosteron-Ersatz-Therapie zielt darauf ab, altersassoziierte Beschwerden wie Muskelschwäche, Libidoverlust, viszerale Fetteinlagerungen, depressive Verstimmungen, kognitive Minderleistungen oder Schlafstörungen zu lindern. Sie wird außerhalb der Leistungspflicht gesetzlicher Krankenkassen als individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) erbracht und privat bezahlt.

Fehlt die sportliche Zwecksetzung, sind die Straftatbestände des AntiDopG nicht erfüllt. Auch § 3 Abs. 4 AntiDopG über das sogenannte Selbstdoping greift nicht, da er das Fehlen einer medizinischen Indikation voraussetzt. Ist die Gabe von Testosteron aber im Rahmen einer endokrinologischen oder altersmedizinischen Therapie begründet – selbst außerhalb gängiger Leitlinien – scheitert bereits der Tatbestand.

Selbst bei aktiven Sportlern wäre eine Strafbarkeit nur denkbar, wenn der Dopingzweck nachgewiesen werden könnte. Zudem greift § 4 Abs. 7 AntiDopG nur bei Spitzensportlern – und selbst dann nur bei nachgewiesener Dopingabsicht.

3. Therapeutic Use Exemption (TUE): Was getestete Sportler wissen müssen

Eine TUE ist die offiziell anerkannte medizinische Ausnahmegenehmigung, die es Sportlern erlaubt, eine auf der WADA-Verbotsliste stehende Substanz oder Methode zu verwenden, ohne bei einer Dopingkontrolle sanktioniert zu werden. Sie greift ausschließlich, wenn die Anwendung medizinisch notwendig ist und kein leistungssteigernder Nebenzweck verfolgt wird.

Um eine Therapeutic Use Exemption (TUE) erfolgreich zu beantragen, müssen Sportler vier zwingende Voraussetzungen erfüllen, wie sie im International Standard for Therapeutic Use Exemptions (ISTUE) festgelegt sind. Diese Kriterien dienen als objektive Grundlage zur Beurteilung, ob der medizinisch indizierte Einsatz einer eigentlich verbotenen Substanz im Einklang mit den Anti-Doping-Regelwerken stehen kann.

Zunächst muss eine gesicherte medizinische Diagnose vorliegen, welche den Einsatz der Substanz eindeutig erforderlich macht. Die Erkrankung muss klinisch nachvollziehbar, durch geeignete Befunde belegt und durch anerkannte Diagnostik gesichert sein.

Zweitens darf die beantragte Therapie nicht zu einem Netto-Performance-Boost führen. Das heißt: Die Behandlung darf den Sportler lediglich in seinen gesundheitlich normalen Zustand zurückversetzen – nicht aber über diesen hinaus Vorteile verschaffen. Es muss klar erkennbar sein, dass durch die Substanz kein zusätzlicher Wettbewerbsvorteil entsteht.

Drittens muss der Antragsteller nachweisen, dass es keine zulässige therapeutische Alternative zur beantragten Medikation gibt. Es muss belegt werden, dass alle verfügbaren, nicht verbotenen Behandlungsmethoden entweder wirkungslos waren oder aus medizinischer Sicht nicht anwendbar sind.

Viertens darf der Behandlungsbedarf nicht die Folge eines früheren verbotenen Substanzgebrauchs sein. Wer sich also durch Doping selbst eine Erkrankung zugezogen hat, kann dafür keine TUE beanspruchen. Dieser Ausschluss dient der Integrität des Sports und soll Fehlanreize verhindern.

Der Antragsprozess für eine TUE folgt klaren formalen Vorgaben. Für national getestete Sportler ist in Deutschland die Nationale Anti Doping Agentur (NADA) zuständig. Bei internationalen Wettkämpfen liegt die Verantwortung beim jeweiligen Weltverband. Sportler, die keinem offiziellen Testpool angehören, können in bestimmten Fällen auch eine rückwirkende TUE beantragen – etwa im Notfall oder bei erstmaligem positiven Befund.

Für eine vollständige Prüfung sind verschiedene Unterlagen erforderlich: Neben einem lückenlos ausgefüllten TUE-Formular muss die medizinische Dokumentation die Diagnose, bisherige Therapieversuche, Laborbefunde, Bildgebungen und die therapeutische Notwendigkeit umfassen. Besonders wichtig ist die Begründung, warum keine Alternativbehandlung möglich ist.

Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer beträgt etwa 21 Tage. Deshalb sollte die Antragstellung idealerweise mindestens einen Monat vor dem nächsten Wettkampf erfolgen. Über die Bewilligung entscheidet ein unabhängiges medizinisches Expertengremium – das sogenannte TUE-Komitee (TUEC). Dessen Entscheidung wird digital über das ADAMS-System der WADA dokumentiert.

Im Falle einer Ablehnung besteht die Möglichkeit, die Entscheidung im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens durch die WADA anzufechten. In letzter Instanz ist auch eine Beschwerde vor dem internationalen Sportgerichtshof (CAS) möglich.

Der gesamte TUE-Prozess ist somit rechtlich klar geregelt, medizinisch anspruchsvoll und sportlich folgenreich – insbesondere für Sportler, die im Rahmen einer Testosteron-Ersatztherapie (TRT) auf verbotene Substanzen angewiesen sind. Eine professionelle, frühzeitige und sauber dokumentierte Antragsstellung ist daher essenziell.

4. Medizinische Wirkungen der hochdosierten TRT im Überblick

Warum sollte man als Mann ab Mitte des 30. Lebensjahres – ob nun als (ggf. auf den Einsatz von Dopingmitteln getesteter) Wettkampfsportler, als Freizeitsportler oder auch ganz ohne sportliche Ambitionen – überhaupt in Erwägung ziehen, Testosteron (auch in supraphysiologischen Dosierungen) zuzuführen?

Testosteron entfaltet eine Vielzahl physiologischer Wirkungen, die weit über den klassischen Muskel- und Kraftaufbau hinausgehen. In hochdosierter Form – etwa bei einer wöchentlichen Gabe von 600 mg Testosteron-Enantat – wurden in klinischen Studien Gesamt-Testosteronspiegel von ca. 2.370 ng/dl gemessen, die mit einem Zuwachs von durchschnittlich 7,9 kg fettfreier Körpermasse und einer Reduktion von 1,8 kg Fettmasse einhergingen (Bhasin et al., 2001). Hiervon profitieren etwa Stoffwechselparameter deutlich: Bei Männern mit Typ-2-Diabetes konnte eine Senkung des HbA1c um durchschnittlich 0,87 %, der Nüchtern-Glukose um 1,1 mmol/l und des Insulinspiegels um 2,7 µU/ml nachgewiesen werden (PMC3901874). Parallel hierzu zeigt sich ein dosisabhängiger Anstieg von Hämoglobin und Hämatokrit, was die Sauerstofftransportkapazität verbessert – insbesondere relevant für Ausdauer, Belastbarkeit und Reserve (PubMed ID: 11701431).

Im Bereich der Sexualfunktion belegen Studien eine deutliche Verbesserung der Libido, Erektionsfähigkeit und allgemeinen sexuellen Aktivität (PubMed ID: 27355400). Darüber hinaus zeigen sich signifikante antidepressiv wirkende Effekte: Im Rahmen des großen T-Trial wurde eine Reduktion der depressiven Symptomatik um 1,4 Punkte auf der CES-D-Skala festgestellt; diese Beobachtung wurde durch mehrere Metaanalysen bestätigt, insbesondere bei höheren Dosierungen (NEJMoa1506119, PMC9704723).

Auch die Knochengesundheit profitiert langfristig: Eine 12-monatige TRT führte zu einer Erhöhung der volumetrischen Knochendichte in der Lendenwirbelsäule um 3,3 %, in der Hüfte um 1,2 % sowie zu einer um 8,5 % verbesserten Wirbelfestigkeit (PMC5433755). Funktionell bedeutsam ist zudem die gesteigerte neuromuskuläre Leistungsfähigkeit: Schon bei 300 mg Testosteron pro Woche konnte die Bein-Peak-Power – ein zentraler Marker für Mobilität im Alltag – um 9 % gesteigert werden (Wiley, 2008). Auch die Regenerationsfähigkeit nach Verletzungen verbessert sich messbar, was unter anderem durch einen dosisabhängigen Anstieg des IGF-I erklärt wird (PubMed ID: 11701431).

Besonders hervorzuheben sind die neuroprotektiven Effekte von Testosteron, die in der Altersmedizin zunehmend an Bedeutung gewinnen. Testosteron wirkt schützend auf kognitive Strukturen und Prozesse. So zeigten sich in mehreren hochwertigen Studien Verbesserungen der Gedächtnisleistung, der Verarbeitungsgeschwindigkeit, der Aufmerksamkeit und des Arbeitsgedächtnisses – gleichzeitig sank das Risiko für Demenz und Alzheimer signifikant. Die NHANES-Studie aus den Jahren 2013/14 an über 200 Männern ab 60 Jahren zeigte eine lineare Korrelation zwischen höheren bioverfügbaren Testosteronspiegeln und besseren Ergebnissen in kognitiven Leistungstests – ohne Hinweise auf einen Sättigungseffekt (NHANES 2013/14). Die Shanghai Aging Study belegte ein vierfach erhöhtes Risiko für kognitiven Abbau bei Männern mit niedrigen Testosteronwerten; bei gleichzeitig erhöhtem Neurofilament-Leichtkettenwert (NfL) stieg das Risiko sogar auf das Sechsfache (Shanghai Aging Study). Auch die groß angelegte UK Biobank-Analyse mit über 159.000 Probanden kommt zu eindeutigen Ergebnissen: Männer mit den niedrigsten Testosteronwerten hatten ein um 43 % höheres Risiko, an Demenz zu erkranken, und ein um 80 % erhöhtes Risiko für Alzheimer im Vergleich zur Referenzgruppe mit hohen Spiegeln (UK Biobank).

Die molekularbiologische Forschung bestätigt diese Ergebnisse: Testosteron wirkt über mehrere neuroprotektive Mechanismen – darunter die Reduktion von β-Amyloid-Ablagerungen, Hemmung der Tau-Phosphorylierung, Schutz mitochondrialer Strukturen in Nervenzellen sowie über antiinflammatorische Signalwege. Zusätzlich verstärkt lokal in Östradiol umgewandeltes Testosteron viele dieser Schutzfunktionen, wie eine systematische Auswertung von 29 Studien zeigt (Review, 29 Studien).

Diese umfassende Datenlage stützt die Anwendung einer exogenen Testosteronsubstitution auch in Dosierungen bis zu 600 mg/Woche im Rahmen einer präventiv orientierten Quality-Aging-Strategie. Die Verbesserung von Körperzusammensetzung, metabolischer und kardiovaskulärer Gesundheit, Libido, Stimmung, Knochendichte und kognitiver Funktion macht Testosteron zu einer Schlüsselintervention im modernen Aging-Management.

5. Umsetzung & Compliance für Ärzte und Patienten

Ein aus alledem folgendes Behandlungskonzept könnte etwa vorsehen, initial zweimal wöchentlich bis zu 150 mg Testosteron zu verabreichen; die Dosierung sollte so lange beibehalten werden, bis ein Serumspiegel von 1 000 bis 2 000 ng/dl erreicht ist. Alle sechs Wochen wird anhand aktueller Laborwerte geprüft, ob eine Anpassung der Dosis erforderlich ist. Das engmaschige Monitoring beginnt mit einer monatlichen Kontrolle des Blutbildes inklusive Hämatokrit. Im Abstand von drei Monaten folgen Leberwerte, HbA1c und Lipidprofil, während halbjährlich eine DEXA-Knochendichtemessung sowie ein standardisierter Krafttest durchgeführt werden. Einmal jährlich werden das prostataspezifische Antigen (PSA) bestimmt und ein Prostata-Ultraschall vorgenommen.

Vor Therapiebeginn erhält der Patient eine umfassende schriftliche Aufklärung nach § 630e BGB, in der Zweck, Risiken und bestehende Behandlungsalternativen ausführlich dargestellt werden. Die Einwilligung wird dokumentiert und gemeinsam mit allen weiteren Unterlagen abgelegt. Rezeptkopien und etwaige Restbestände des Präparats werden getrennt verwahrt, um Missverständnissen hinsichtlich Besitz- oder Handelsabsichten vorzubeugen. Sportlich aktive Patienten werden zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie für Wettkämpfe eine gültige Therapeutic-Use-Exemption (TUE) benötigen.

6. Fazit

Hochdosiertes Testosteron kann – bei sauberer medizinischer Indikation und dokumentierter Abgrenzung zum Doping – legal angewendet werden. Die Schwellenwerte der DmMV werden überschritten, ohne dass daraus eine Strafbarkeit folgt. Für getestete Sportler gilt indes: Ohne TUE drohen sportrechtliche Konsequenzen – unabhängig vom Strafrecht. Frühzeitige Beantragung, vollständige Dokumentation und juristisch begleitete Therapiekonzepte sichern nicht nur die Zulässigkeit, sondern auch die sportliche Karriere. Quality Aging ist keine Grauzone, sondern eine juristisch wie medizinisch klar abgrenzbare Behandlungsform – wenn sie richtig durchgeführt wird.

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